Ein Interview mit dem Jobcenter Köln
Frau Steinkamp, wozu sind Benimm-Regeln gut?
Zunächst: viel lieber nenne ich das „Benimm-Empfehlungen“. Schließlich geht es hier in erster Linie um einen Kompass im sozialen Miteinander, bei dem jede und jeder selbst entscheidet, wie sehr oder wie wenig sie oder er davon Gebrauch macht. Benimm-Empfehlungen helfen uns dabei, eine funktionierende Gesellschaft aufzubauen und zu erhalten. Knigge nannte das in seinem Buch bereits „sich in den Ton einer Gesellschaft einzufügen, ohne eigentümlich zu wirken“.
Viele Situationen zwischen Menschen würden ohne eine Art Reglement nicht funktionieren: Kein Fußballspiel, keine Wiener Walzer. Oder stellen Sie sich "Mensch ärgere Dich nicht" ohne Regeln vor. Wenn am Sonntagnachmittag mal wieder der Haussegen schief hängt, weil Anton vergessen hat, zu schmeißen, und Rosi im Haus überspringt, kommt die Spielanleitung auf den Tisch und Oma sagt "Hier steht doch, wie's geht. Haltet Euch an die Regeln!". So ist es auch in alltäglichen, zwischenmenschlichen Situationen. Es gibt für das soziale Miteinander zwar keine geschriebene Verhaltensanleitung, aber unzählige ungeschriebene Gesetze, was sich "schickt" und was eben nicht. Wenn wir aufhören würden, uns zu begrüßen, ‚Bitte und Danke‘ zu sagen, jemandem den Vortritt zu lassen oder die Tür aufzuhalten, bedeutete das das Ende einer funktionierenden Gesellschaft.
Inwieweit ist „Knigge“ zeitgemäß? Sind die Verhaltensempfehlungen aus dem 18. Jahrhundert antiquiert?
Knigge ist absolut up to date und zeitgemäß. Denn Knigge beschreibt in seinem Original aus dem Jahr 1788 keineswegs Regeln wie „Welches Messer zum Fisch und welches zum Fleisch?“ oder „Welcher Sakkoknopf wird geschlossen?“. Sein Buch heißt „Über den Umgang mit Menschen“ und genau darum geht es: Wie wir uns im Miteinander verhalten. Der Begriff „Knigge“ wird fast irrtümlich benutzt, denn er selbst konnte damals nicht wissen, dass er für uns heute einmal der berühmte „Benimmonkel“ ist.
Seine Ansichten aus dem 18. Jahrhundert können wir sehr gut als Basis für den Umgang miteinander nehmen. Allerdings sind viele seiner Ansätze mittlerweile überholt: Kleidungsstile sind gelockert, Tischmanieren haben sich verändert. Außerdem stehen wir Damen mittlerweile natürlich zur Begrüßung ebenso auf wie die Herren. Knigge-Empfehlungen unterliegen einem ständigen Wandel. Verantwortlich dafür sind zum Beispiel Globalisierung, Digitalisierung und Emanzipation. Darum ist es nötig, sich immer wieder mit gesellschaftlichen und kulturellen Entwicklungen zu befassen, um gutes Benehmen für jeden zugänglich und begreifbar zu machen. Von Smartphones und Jogpants konnte Knigge im 18. Jahrhundert schließlich noch nichts wissen.
Sollte das Benehmen Mitarbeitender gegenüber ihren Kunden einheitlich sein?
Natürlich ist das für jeden Chef eine Wunschvorstellung. Das Verhalten von Mitarbeitenden sollte in erster Linie vereinbar mit der Unternehmenskultur sein. Schließlich gilt: je kongruenter das Auftreten vor dem Kunden, desto glaubwürdiger das Unternehmen.
Wie wirkt sich sicheres Verhalten mit gutem Benehmen auf einen selber aus?
Sie verraten es fast in Ihrer Frage: Korrektes Verhalten gibt Sicherheit. Wenn ich mich nicht vor und in jeder Situation fragen muss „Wen begrüße ich zuerst?“, oder „Wen sieze ich?“ oder „Welche Kleidung ist heute wohl angemessen?“, dann kann ich mich auf das Wesentliche konzentrieren: Auf den Inhalt eines Gespräches zum Beispiel. Wenn ich mich im Business zu benehmen weiß, dann trete ich souverän auf und traue mir letztendlich vielmehr zu. Und wir alle wissen, dass die innere Haltung unsere Wirkung auf andere maßgeblich beeinflusst.
Und auf andere?
Drei wesentliche Erfolgsfaktoren im Business sind Kompetenz, Professionalität und Souveränität. Wenn ich mit einem sicheren Wesen auftrete, mache ich einen entsprechenden Eindruck auf Vorgesetzte, Kollegen und Kunden. Ich werde ernst genommen und mir wird mehr zugetraut. Das bedeutet mehr Verantwortung und grünes Licht für die nächste Stufe auf der Karriereleiter.
Können Benimmregeln die Authentizität eines Menschen beeinträchtigen?
Eine Frage, die mir immer wieder gestellt wird und die ich mit einem klaren Nein beantworten kann. Authentizität ist kein Freifahrtschein für schlechtes Benehmen. Das Argument „Ich bin aber so“ ist meist eine Ausrede, sich nicht anpassen zu wollen. Sich zu benehmen geht nicht einher mit sich völlig zu verstellen, denn die Kunst ist, ungekünstelt Manieren zu haben. Und wenn wir da mal ganz ehrlich sind: Jemandem die Tür aufzuhalten oder den Sitzplatz anzubieten sind Zeichen der Achtsamkeit und der Wertschätzung und keineswegs der Heuchelei. Im Klartext: Wenn ich zwar am liebsten in Jogginghosen herumlaufe, mich aber im Business angemessen kleide, dann schränkt das weder meine Persönlichkeit ein noch stiehlt es mir meine Authentizität. Neulich habe ich einen Werbeslogan gelesen „Jogginghose für den authentischen Herren“ und frage mich dabei: Wenn den Herrn heute eine Jogginghose authentisch macht, ist es dann morgen die Cordhose, weil plötzlich diese wieder „in“ ist? Authentizität wird durch meine innere Haltung definiert. Wenn ich Höflichkeit und Respekt als Basis meines Umgangs mit anderen Menschen sehe, dann kratzt angemessenes oder angepasstes Verhalten keineswegs an meiner Glaubwürdigkeit.
Wie geht man mit schlechtem Benehmen anderer um? Insbesondere wenn es Kunden sind.
Ungefragt? Darüber hinwegsehen. Sie sind keine Benimmpolizei und wenn Sie nicht gefragt werden, klingt jede Zurechtweisung wie Besserwisserei.
Darf man Kritik am Verhalten oder Kommunikationsstil von Kollegen*innen äußern? Wenn ja; auf welche Art?
Hier stehen eine respektvolle und wertschätzende Kommunikation mit Ich-Botschaften im Vordergrund. Es sollten stets ein Grund und am besten sogar ein Verbesserungsvorschlag mit Begründung vorliegen. Einfach zu sagen „Du bist aber unhöflich! Benimm Dich mal“ klingt wie ein Angriff. Verpacken Sie Kritik als gut gemeinten Rat.
Gibt es typische Konflikte im Büro-Alltag, die mit „Benimm“ vermeidbar wären? (ggf.: welche?)
Den Joghurt vom Kollegen aus dem Kühlschrank mopsen, Verantwortung wegschieben, Arbeit auf andere abwälzen, sich stets das Beste nehmen oder beim Chef petzen – die Liste der No Gos im Business ist lang. Und alle könnten mit Rücksichtnahme gelöst werden. Stellen Sie sich häufiger die Frage „Wäre ich eigentlich gern mein eigener Kollege?“ – damit würden viele Käbbeleien gar nicht erst entstehen.
Sie geben Kurse für richtiges Benehmen – welche Personengruppen nehmen Ihre Angebote wahr? (und: aus welchen Gründen)
Meine Zielgruppe reicht von Berufsstartern bis zur Chefetage. Denn Business-Knigge ist immer dann interessant, wenn es um Zwischenmenschliches geht. Dabei sind die Beziehungen zwischen
Dienstleistern und Kunden, zwischen Chefetage und Angestellten und unter Kollegen gleichermaßen wichtig. Zugrunde liegt immer das Bewusstsein für ein gutes Miteinander, und das braucht jeder, der
mit Menschen arbeitet. Knigge hilft ja nicht nur in Sachen Karriere, sondern auch für meine innere Haltung und damit meine Persönlichkeit. Neben dem eigenen Wunsch nach Sicherheit auf dem
beruflichen Parkett werden viele Teilnehmenden von ihren Chefs zu mir „geschickt“ und sind erst einmal skeptisch. Hinterher höre ich aber immer wieder „Knigge ist ja gar nicht so langweilig und
antiquiert. Ich werde ab jetzt einiges davon umsetzen!“
Birte Steinkamp
Zert. Trainerin für Business-Etikette